Dieser Blogartikel wurde am 3. November 2022 im QuTech-Blog “Bits of Quantum” veröffentlicht.
Begeistert davon, wie gut die Analogie funktioniert, haben wir Valentin gebeten, seinen Artikel auf unserem Blog zu veröffentlichen.
Er hat freundlicherweise zugestimmt und den Artikel ins Deutsche übertragen 🙂 Viel Spaß!

 

Disclaimer:
Alle Ländervergleiche dienen nur demonstrativen Zwecken ohne Wertung, und sollten mit Augenzwinkern betrachtet werden. Natürlich sind die Länder und deren politische Dynamiken äußerst komplex and divers, was in diesen Betrachtungen nicht zur Schau kommt.

Bist du europabegeistert und möchtest Quantencomputer verstehen? Oder hast du als Physiker schonmal mit viel Mühe versucht, einem Europabegeistertem Quantencomputer zu erklären? Dann mach dir keine Sorge mehr, denn dieser Leitfaden hilft dir dabei. Wir nehmen den klassischen Nationalstaat und die Europäische Union als Analogie um die Konzepte des ‚konventionellen‘ klassischen Computers und des Quantencomputers zu erklären. Die EU kann übermäßig kompliziert und verwirrend sein, genau wie Quantencomputer. Ideale Voraussetzungen um Quantencomputer anhand der EU besser zu verstehen.

Wir befinden uns im Jahre 1950. Es sind die Folgejahre eines fundamentalen Versagens des Nationalstaates innerhalb Europas. Zwar gibt es leise Hoffnung, dass sich der Nationalstaat zum Besseren entwickeln kann, jedoch glaubt Robert Schuman, französischer Außenminister, dass es mehr geben muss als den klassischen Nationalstaat. Es ist die Idee Nationalstaaten zu verschränken und somit eine neue Art der Zusammenarbeit zu schaffen. Ein vereintes Europa angetrieben durch neu geschaffene Institutionen in Brüssel. Dies ist der Europrozessor, das Herz dieses vereinten Europas. Gemeinsam mit den klassischen Nationalstaaten und der Querverbindung zwischen diesen und dem Europrozessor in Brüssel, entsteht eine neue Art des Regierens: der Eurocomputer.

Indem Kompetenzen an eine übergeordnete europäische Institution abgegeben wird, verwandelt sich ein klassischer Nationalstaat in einen EU-Mitgliedsstaat. In Brüssel nennt man diese Mitgliedsstaaten fortan Eubits. Nur wenn die Hitze in nationalen Debatten gering genug ist, ist eine Integration möglich. In Rom im Jahre 1957 konnten Schuman und Kollegen endlich den ersten 6-Eubit Quantenprozessor demonstrieren. Diese ersten Demonstrationen waren keine universellen Eurocomputer, die jede beliebige Aufgabe lösen können. Sie wurden speziell darauf zugeschnitten ganz bestimmte Aufgaben zu lösen, d.h. gemeinsame Verwaltung und Überwachung der Kohl- und Stahlproduktion. Mit der Zeit wurde der Europrozessor verbessert und neue Aufgabenbereiche hinzugefügt. In Maastricht im Jahre 1993 konnte dann EU-Kommissionspräsident Jaques Delors gemeinsam mit Kohl und Mitterand den ersten 13-Eubit Europrozessor vorstellen. Heute ist der Europrozessor auf 27 Eubits angewachsen und kann Aufgaben lösen, die keiner der Gründungsväter sich je hätte vorstellen können. Dazu gehören unter anderem universelle Aufgaben in der Wirtschafts-, Wissenschafts- und Digitalpolitik, sowie auch aktive Friedensmaßnahmen.

Trotzdem ist der Europrozessor kein Ersatz für den klassischen nationalen Prozessor, der in den Hauptstädten der Mitgliedsstaaten angesiedelt ist. Stattdessen wirkt er als Ergänzung, die bestimmte Arten von Problemen besser lösen kann, oder auch solche die überhaupt nicht vom nationalen Prozessor gelöst werden können. Dies wird deutlich, wenn es darum geht Steuerhinterziehung zu bekämpfen sowie Datenschutz und freien Handel zu gewährleisten. Der Quantencomputer ist die Europäische Union der Computer. Wenn man den Europrozessor versteht, bekommt man durch Vergleichen einen Einblick in die grundlegende Funktionsweise eines Quantencomputers. Darum lasst uns zunächst den Europrozessor und danach die Analogie mit Quantencomputern anschauen.

 

 

Arbeitsprinzip des Europrozessors – Superposition, Verschränkung und Interferenz

Stellt euch vor, es gäbe einen Gesetzentwurf in der Europäischen Union zu debattieren. Die Frage ist, ob Europa einen entschlosseneren Standpunkt gegenüber der Klimapolitik einnehmen soll. Vor der Abstimmung haben alle Länder unterschiedliche Standpunkte. Schweden befürwortet den Vorschlag eindeutig. Wir sagen Schweden befindet sich im Zustand 1. Hingegen ist Polen eindeutig gegen den Vorschlag. Wir sagen Polen ist im Zustand 0. Deutschland ist irgendwie für und gegen den Entwurf zur selben Zeit. Man möchte eigentlich nicht die ökonomischen Kosten zulasten der Autoindustrie tragen, aber es herrscht ebenso großer Druck von Umweltorganisationen und Medien. Wir sagen, dass sich Deutschland in Superposition von Zustand 1 und Zustand 0 befindet. EU-Mitgliedsstaaten, die Eubits, können sich hinter gemeinsamen europäischen Positionen verstecken und doppeldeutig zu allen möglichen Themen bleiben.

Für andere Länder können wir weitere interessante Phänomene beobachten. Dänemark, Schweden und Finnland scheinen immer gleich abzustimmen. Wir nennen das Verschränkung. Länder können mit gleichen oder gegenteiligen Meinungen verschränkt sein. Wenn ein skandinavisches Land in einem bestimmten Zustand ist, zum Beispiel in Superposition, Zustand 1, oder Zustand 0, dann sind alle skandinavischen Länder in diesem Zustand. Sie werden dann auch immer gleich abstimmen. Für Deutschland und Polen scheint es oftmals genau umgekehrt zu sein. Wenn Deutschland im Zustand 1 ist, ist Polen im Zustand 0, und umgekehrt.

Wenn Länder die Pros und Cons des Gesetzentwurfs debattieren, kann es passieren, dass zwei Länder gegenteilige Positionen vertreten, die sich gegeneinander aufheben. Ein anderes Mal haben zwei Länder eine ähnliche Position, die sich gegeneinander noch verstärken. Dieses Phänomenen nennen wir Interferenz.

Diese drei Phänomene Superposition, Verschränkung und Interferenz, machen unsere EU-Mitgliedstaaten zu Eubits. Eubits sind die Grundbausteine des Europrozessors. EU-Mitgliedsstaaten haben 2 Wochen Zeit, um den Gesetzvorschlag miteinander zu diskutieren. Von der innenpolitischen Diskussion innerhalb eines Landes gibt es 1-Eubit Gatter. Diese Gatter können die Position eines Landes bezüglich eines bestimmten Themas ändern. Die Position kann sich zum Beispiel von Zustand 0 nach Zustand 1 ändern oder auch zur Superposition werden. Zusätzlich gibt es noch 2-Eubit Gatter. Bei diesen Gattern tauschen zwei EU-Mitgliedsstaaten ihre Meinungen aus und ändern ihren Standpunkt diesbezüglich. Auf diese Weise werden in den 2 Wochen Diskussionszeit viele 1-Eubit und 2-Eubit Gatter durchgeführt. In dieser Zeit interferieren EU-Mitgliedsstaaten (Eubits), sind in Superposition, miteinander verschränkt und ändern ihre Meinung. Die Sequenz all dieser Gatter nennt sich Euroalgorithmus.

 

Arbeitsprinzip des Europrozessors – Messung und Eurovorteil

Schlussendlich ist es soweit, dass abgestimmt werden kann. Jeder EU-Mitgliedstaat muss entweder JA (1) oder NEIN (0) stimmen, auch wenn man in Superposition ist, wobei man kontinuierlich seine Meinung ändert. Nach der Abstimmung können sie ihre Meinung nicht mehr ändern. Wir können vom Ergebnis der Abstimmung nicht direkt ablesen, in welchem Zustand sich jedes Land befunden hat, da sich Länder in Superposition für eine Antwortmöglichkeit entscheiden müssen. Wenn wir das herausfinden möchten, müssen wir den Prozess viele Male wiederholen und die Länder mehrmals abstimmen lassen. Zum Beispiel, wenn Schweden 10-mal JA votiert, dann war es im Zustand 1. Wenn Deutschland 5-mal JA und 5-mal NEIN votiert, dann war es in Superposition. Wenn Polen 10-mal NEIN votiert, dann war es im Zustand 0. Auf diesem Weg können wir den Zustand aller EU-Mitgliedsstaaten bestimmen. In diesem Beispiel haben 10 Wiederholungen gereicht, sodass wir mindestens 10-mal abstimmen lassen müssen. So finden wir die Position aller Länder zum Klimagesetzentwurf heraus.

Würde der Eurocomputer nicht existieren, gäbe es nur eine Möglichkeit herauszufinden, wie die EU-Mitgliedstaaten zur Klimapolitik stehen. Man müsste in alle 27 Mitgliedsstaaten separat gehen und deren Gesetzvorhaben analysieren. Man müsste also mindestens 27 unterschiedliche Algorithmen laufen lassen. Der Europrozessor braucht nur einen einzigen Algorithmus, um alle 27 EU-Mitgliedsstaaten gleichzeitig zu untersuchen. Indem wir diesen Algorithmus 10-mal wiederholen, können wir herausfinden welche Länder such in Zustand 0, Zustand 1 und in Superposition befinden. Deswegen kann der Eurocomputer dieses Problem schneller lösen als der klassische nationale Computer. Wir haben den Eurovorteil erreicht.

 

Vom Eurocomputer zum Quantencomputer

Die Phänomene, die die Europäische Union vom klassischen Nationalstaat unterscheiden, können verglichen werden mit den Unterschieden zwischen klassischen Computern und Quantencomputern. Die vorher eingeführten Konzepte der Superposition, Verschränkung, und Interferenz sind einzigartig für die Quantenmechanik, und können ausgenutzt werden, um bestimmte Typen von Algorithmen signifikant schneller durchführen zu können. Dies beinhaltet insbesondere Algorithmen, die Aufgaben in parallel ausführen müssen, so wie das bei dem Beispiel mit dem Klima Gesetzvorhaben war. Je grösser dabei die Anzahl an Aufgaben, die parallel bearbeitet werden müssen, desto grösser wird der Geschwindigkeitsvorteil. Somit könnten Quantencomputer Probleme lösen, die mit klassischen Computern praktisch unlösbar sind.

 

Information in klassischen Computern wird in Einsen und Nullen kodiert. Das passiert in Silizium-Chips, die Millionen von kleinen elektrischen Schaltern beinhalten. Entweder fließt Strom durch diesen Schalter, dann haben wir Zustand 1, oder kein Strom fließt durch den Schalter, dann haben wir Zustand 0. Dies nennen wir ein Bit. Quantencomputer arbeiten ein bisschen anders. Anstatt mit Bits zu arbeiten, arbeiten sie mit Quantenbits, kurz Qubits. Ein Qubit ist ein Bit, das zusätzlich den drei Effekten Superposition, Interferenz und Verschränkung unterliegt, die wir vorher für unseren Europrozessor eingeführt haben. Qubits können beispielsweise erzeugt werden, indem man ein einzelnes Elektron (das Stromteilchen) fängt. Ein Elektron kann man sich als Kugel vorstellen, die sich im und gegen den Uhrzeigersinn drehen kann. Das stellt jeweils die beiden Zustände 0 und 1 dar.

Da ein Elektron ein quantenmechanisches Teilchen ist, unterliegt es den Effekten der Superposition, Verschränkung und Interferenz. Eine Superposition ist, wenn sich das Elektron gleichzeitig im und gegen den Uhrzeigersinn dreht. Das erscheint merkwürdig und ist der Grund, warum die Quantenmechanik oft als nicht intuitiv angesehen wird und schwer vorzustellen ist. Hier brauchen wir nicht die fundamentalen Ursachen zu verstehen, die zu diesen Effekten führt. Wir können es einfach akzeptieren und die Effekte uns zu Nutze machen. Wir können dann für einen gewünschten Quantenalgorithmus an den Elektronen 1-Eubit und 2-Eubit Gatter ausführen, genauso wie wir das bereits beim Europrozessor getan haben.

 

Anwendung und Forschungsstand von Quantencomputern

Der Europrozessor hat zwei offensichtliche Anwendungen. Erstens die Ausführung und Analyse europäischer Gesetzgebung. Dies ist schließlich das Fundament des Europrozessors, sodass es schlüssig scheint, dass es dort dem nationalen Prozessor überlegen ist. Das gleiche trifft auf die Quantencomputer zu. Deren Fundament ist die Quantenmechanik, sodass insbesondere quantenmechanische Probleme, die unlösbar für klassische Computer sind, gelöst werden können. Unsere makroskopische Welt, die wir jeden Tag erfahren, können wir gut mit der klassischen Physik und somit klassischen Computern beschreiben. Dabei können wir die tatsächlich mikroskopischen Phänomene auf der atomaren Skala ignorieren. Auf dieser Skala regiert die Quantenmechanik sämtliche Effekte. Quantenmechanische Beschreibungen sind immer komplex und schwierig, wenn nicht gar unmöglich mit klassischen Computern zu berechnen. Ein Beispiel für solch ein quantenmechanisches Problem ist das Verhalten eines Moleküls zu simulieren. Selbst kleine Probleme bringen uns heutzutage mit klassischen Computern bereits an die Grenze des Machbaren.

Man könnte sich jetzt fragen, warum einem das kümmern sollte. Der Grund ist, dass diese Entwicklung womöglich zu einer neuen Phase technologischer und wissenschaftlicher Entwicklung führt. Forschungsgruppen und Unternehmen könnten neuartige Moleküle und Materialen, irgendwann womöglich sogar Proteine simulieren. Dies kann unter anderem zu signifikanten Fortschritten in der Luftfahrt, Chemie und Life Sciences führen. Es erlaubt die bessere Optimierung von Designprozessen, ein besseres Verständnis und Verbesserung von chemischen Prozessen, sowie bessere Simulation von Molekülen und Materialien für Anwendungen aller Art. Natürlich ist die Liste keineswegs vollständig und viele Zukunftsanwendungen sind uns sicherlich noch nicht bewusst.

Jedoch sind wir noch ein gutes Stück davon entfernt. Der Status von Quantencomputern ähnelt dem Zustand von klassischen Computern in den 1960er Jahren. Dies war die Zeit, in der der Aufstieg von Halbleitergiganten wie Intel begann. Momentan befindet sich die Technologie im Übergang von der universitären Forschung hin zur Industrie. Etablierte High-Tech Unternehmen wie Google und IBM führen diesen Übergang an. In der Europäischen Union gibt es neben sämtlichen universitären Forschungsinitiativen, ein paar nennenswerte Start-Ups, die Quantenchips herstellen. Dazu gehören QuantWare, IQM, AQT, Pasqal und Quandela. Trotz der kürzlichen Erfolge wie der Erzielung eines Quantenvorteils durch Google, ist die momentane Technologie stark limitiert. Es gibt auch einige Stimmen innerhalb der Quantencommunity, die Sorge haben über den aktuellen Forschungsstand und die oftmals verbreiteten überoptimistischen Behauptungen. Mit all diesen Behauptungen ist es immer wichtig sich klar zu machen, dass sich Quantencomputer noch immer in der Entwicklungsphase befinden. Niemand weiß, zu was Quantencomputer am Ende echt fähig sein werden. Nichtsdestotrotz ist die Forschung an Quantencomputers ein sehr dynamisches Feld, in dem momentan viel geschieht. Die momentanen Entwicklungen sind aufregend, und man kann sicher sein, dass wir die nächsten Jahre noch mehr hören werden.

Über Valentin

Wenn Valentin John kein Physiker geworden wäre, wäre er womöglich selbst ein Eurokrat geworden. Er ist überzeugter Europäer und hat selbst Teile seines Studiums in Deutschland, dem Vereinigten Königreich, Belgien und Frankeich absolviert. Das Brexit Referendum war ihm Anlass, sich bei den Jungen Europäischen Föderalisten zu engagieren. Nun jedoch hat ihn seine Leidenschaft für Halbleiter und Quantentechnologien nach Delft in die Niederlande gebracht, wo er zur Realisierung von Quantenprozessoren in Halbleiterstrukturen forscht.

 

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