Jülicher Quantenforscher bauen erstes Hybrid-Quantenbit auf Basis topologischer Isolatoren

 

Wissenschaftlern am Forschungszentrum Jülich gelingt ein wichtiger Schritt auf dem Weg zum topologischen Quantencomputer

 

 

Topologische Qubits könnten mit ihren besonderen Eigenschaften dem universell einsetzbaren Quantencomputer zum Durchbruch verhelfen. Bisher ließ sich aber noch kein Quantenbit, kurz Qubit, dieses Typs im Labor realisieren. Wissenschaftlern des Forschungszentrums Jülich ist nun aber ein wichtiger Teilerfolg geglückt. Ihnen gelang es erstmalig, einen topologischen Isolator in ein konventionelles supraleitendes Qubit zu integrieren. Ihr neuartiges Hybrid-Qubit schaffte es pünktlich zum „World Quantum Day“ am 14. April bis aufs Cover der aktuellen Ausgabe der renommierten Fachzeitschrift Nano Letters.

Quantencomputer gelten als Rechner der Zukunft. Mithilfe von Quanteneffekten versprechen sie die Lösung von hochkomplexen Problemen, die mit klassischen Rechnern nicht oder nicht in realistischer Zeit zu bearbeiten sind. Von einem breiten Einsatz in der Praxis ist man heute allerdings noch weit entfernt. Aktuelle Quantenprozessoren verfügen meist nur über wenige Quantenbits. Das Hauptproblem ist die Fehleranfälligkeit. Je größer das System, desto schwieriger wird es, dieses vollkommen von der Umgebung abzuschotten.

Viele Hoffnungen ruhen daher auf einer neuen Art von Quantenbit – sogenannten topologischen Qubits. Der Ansatz wird von mehreren Forschungsgruppen und auch Firmen wie Microsoft verfolgt. Diese Art von Qubits ist topologisch geschützt. Die spezielle geometrische Ausrichtung der Stromleiter und spezielle elektronische Materialeigenschaften sorgen dafür, dass die Quanteninformation erhalten bleibt. Topologische Qubits gelten daher als besonders robust und weitgehend immun gegenüber äußeren Störquellen. Gleichzeitig scheinen mit ihnen schnelle Schaltzeiten machbar, die mit denen von konventionellen supraleitenden Qubits vergleichbar sind, wie sie auch von Google und IBM in heutigen Quantenprozessoren verwendet werden.

Noch ist allerdings nicht klar, ob es jemals gelingen wird, topologische Qubits tatsächlich herzustellen. Denn noch fehlt eine geeignete Materialbasis, um die speziellen Quasiteilchen, die dafür notwendig sind, zweifelsfrei experimentell zu erzeugen. Diese werden auch als Majorana-Zustände bezeichnet und konnten bislang nur in der Theorie, nicht aber experimentell, nachgewiesen werden. Hybrid-Qubits, wie sie die Arbeitsgruppe um Dr. Peter Schüffelgen am Peter Grünberg Institut (PGI-9) des Forschungszentrums Jülich nun erstmals realisiert hat, eröffnen dafür nun neue Möglichkeiten. Sie verfügen an entscheidenden Stellen bereits über topologische Materialien. Forschende erhalten damit eine neue experimentelle Plattform, um das Verhalten topologischer Materialen in hochempfindlichen Quantenschaltkreisen zu erproben.

 

Dr. Peter Schüffelgen (left) and Tobias Schmitt (right) in front of the NanoCluster at Forschungszentrum Jülich where core components of the hybrid qubit were fabricated in an ultra-high vacuum. (c) Forschungszentrum Jülich / Sascha Kreklau

 

Originalpublikation:

Integration of Topological Insulator Josephson Junctions in Superconducting Qubit Circuits. Tobias W. Schmitt, Malcolm R. Connolly, Michael Schleenvoigt, Chenlu Liu, Oscar Kennedy, José M. Chávez-Garcia, Abdur R. Jalil, Benjamin Bennemann, Stefan Trellenkamp, Florian Lentz, Elmar Neumann, Tobias Lindström, Sebastian E. de Graaf, Erwin Berenschot, Niels Tas, Gregor Mussler, Karl D. Petersson, Detlev Grützmacher, and Peter Schüffelgen. Nano Letters (13 April 2022), DOI: 10.1021/acs.nanolett.1c04055

 

Interview zum Stand der Forschung

Dr. Peter Schüffelgen, Leiter der Arbeitsgruppe zum topologischen Quantencomputing am Peter Grünberg Institut für Halbleiter-Nanoelektronik (PGI-9) und Tobias Schmitt, Erstautor der Publikation, geben einen Einblick in den Forschungsstand und die Hintergründe der aktuellen Arbeit.

Was genau ist ein Hybrid-Qubit?

Bei dem Qubit in unserer Arbeit handelt es sich um ein neuartiges Transmon-Qubit. Transmone bilden das Rückgrat heutiger supraleitender Quantencomputer und werden von den Marktführern wie IBM, Google oder Rigetti in ihren neusten Quantenprozessoren genutzt. Das Herzstück eines Transmons bildet dabei der sogenannte Josephson Kontakt. Hierbei handelt es sich um zwei supraleitende Elektroden, die durch eine dünne Isolatorschicht voneinander getrennt sind. Anders als bei konventionellen Transmonen ist es uns nun erstmals gelungen, anstelle eines normalen Isolators einen sogenannten topologischen Isolator zwischen den beiden supraleitenden Elektroden zu integrieren.

Bei einem solchen Qubit spricht man von einem Hybrid-Qubit, weil man neben dem Supraleiter noch ein zweites Quantenmaterial – den topologischen Isolator – in den Schaltkreis integriert. Die Quantenzustände sind hier wie beim konventionellen Transmon durch oszillierende Ströme im supraleitenden Quantenschaltkreis definiert. In unserem Hybrid-Qubit fließen diese Ströme allerdings durch den topologischen Isolator. Unser modifiziertes Bauteil funktioniert daher sehr ähnlich wie ein konventionelles Transmon-Qubit,bietet allerdings durch die speziellen Eigenschaften des topologischen Isolators erweiterte Anwendungsmöglichkeiten.

In der Forschung erfahren topologische Isolatoren aktuell viel Aufmerksamkeit. Ihre theoretische Entdeckung wurde 2016 mit dem Physiknobelpreis geehrt. Was ist das Besondere an diesen Materialien?

Topologische Isolatoren wurden erstmals im Jahr 2006 entdeckt und definieren eine völlig neue Materialklasse. Während das Innere eines dreidimensionalen topologischen Isolators isolierend ist, verhält sich die zweidimensionale Oberfläche wie ein leitfähiges Metall. Dies ist vergleichbar mit einem Styroporwürfel, der in Alufolie gewickelt wurde. Es gibt aber einen wesentlichen Unterschied. Denn die Atome im Inneren eines topologischen Isolators sind identisch mit denen an seiner Oberfläche.

Die metallische Oberfläche eines topologischen Isolators weist zudem noch eine weitere Besonderheit auf. Die darin enthaltenen Elektronen besitzen spezielle Eigenschaften. Ihr Spin – eine Art Drehung um die eigene Achse, die für Elektronen typisch ist – hängt präzise davon ab, in welche Richtung sich die Elektronen bewegen. Das heißt: Ein Elektron, das sich in eine bestimmte Richtung, zum Beispiel nach links, bewegt, hat einen ganz speziellen Spin, etwa „up“. Andere Elektronen, die in die entgegengesetzte Richtung steuern, haben entsprechend genau den entgegengesetzten Spin, in dem Fall „down“.

Durch die Integration dieser besonderen Quantenmaterialien in supraleitende Schaltkreise verspricht man sich ein neuartiges Qubit, ein sogenanntes topologisches Qubit, das auch als Majorana-Qubit bezeichnet wird und einen intrinsischen Schutz gegen Quantenfehler besitzt. Dieses Qubit soll sowohl hohe Kohärenzzeiten – ein Maß für die Lebensdauer von Quantenzuständen – aufweisen als auch schnelle Schaltzeiten erlauben. Damit vereint es in einer einzigen Plattform die Vorteile der beiden führenden konkurrierenden Qubit-Plattformen – nämlich den Ionenfallen mit hohen Kohärenzzeiten und den Transmonen mit schnellen Schalt- oder Gatezeiten.

Welche Bedeutung hat dieses Hybrid-Qubit für die Erforschung und Entwicklung von topologischen Qubits?

Ein wichtiger Schritt auf dem Weg zum Majorana-Qubit besteht darin, topologische Isolatoren in supraleitende Quantenschaltkreise zu integrieren. Genau das ist uns mit der vorliegenden Arbeit gelungen. Anstatt den topologischen Isolator direkt in ein komplexes Majorana-Qubit zu integrieren, haben wir ihn in unserer Arbeit zunächst in ein herkömmliches Transmon-Qubit integriert, da wir von diesem Bauteil bereits wissen, wie es sich verhält.

Eine solche Integration von topologischen Isolatoren in supraleitende Quantenschaltkreise ist trotz jahrelanger intensiver Forschung und Entwicklung noch niemandem vor uns gelungen. Dies liegt vor allem daran, dass topologische Isolatoren extrem luftempfindlich sind. Sobald man sie nach der Herstellung im Ultrahochvakuum ausschleust und an die Luft bringt, verlieren sie oft ihre besonderen Eigenschaften.

Der Schlüssel zu unserem Erfolg war es, Teile des gesamten Qubits im Vakuum zu bauen, um dadurch die Degradierung des topologischen Isolators an Luft zu verhindern. So wurde das Herzstück – der oben erwähnte Josephson Kontakt – vollständig im Ultrahochvakuum gefertigt und mittels einer Schutzschicht vor dem Ausschleusen konserviert. Diese spezielle Art der Fabrikation wurde am Forschungszentrum Jülich mithilfe von Experten der Universität Twente entwickelt (siehe Pressemitteilung) und kam nun zum ersten Mal für die Herstellung von Qubits zur Anwendung.

Die so hergestellten Quanten-Chips sind die ersten Hybrid-Qubits basierend auf topologischen Isolatoren, in denen Quantenkohärenz demonstriert werden konnte. Die Messungen wurden zusammen mit unseren Kooperationspartnern in London und Kopenhagen in verschiedenen Tieftemperatur-Laboren durchgeführt.

Die Integration eines topologischen Isolators verbessert die Kohärenz oder auch Fehleranfälligkeit des supraleitenden Transmon-Qubits nicht unmittelbar. Der prinzipielle Nachweis der Quantenkohärenz und somit die Kompatibilität dieser Materialen mit supraleitenden Qubits und supraleitenden Schaltkreisen öffnet jedoch eine Fülle neuer experimenteller Möglichkeiten: Supraleitende Qubits und supraleitende Schaltkreise sind letztlich nicht nur eine Plattform zur Verarbeitung von Quanteninformationen. Sie können darüber hinaus auch genutzt werden, um topologische Isolatoren genauer zu erforschen und weitere Hinweise auf sogenannte Majorana-Nullmoden zu finden. Diese speziellen Quasiteilchen bilden die Grundbausteine für das oben erwähnte topologische Qubit.

Gibt es schon erste praktische Erkenntnisse?

In Bezug auf die Entwicklung eines topologischen Qubits stellen unsere Ergebnisse einen wichtigen Schritt in Richtung technische Realisierung dar. So sehen einige Konzepte zum Auslesen von Majorana-Qubits die Integration in Schaltkreise mit supraleitenden Qubits vor. Bei diesem Ansatz profitiert man von der ausgereiften Ansteuerung- und Auslesetechnik, die bereits für konventionelle supraleitende Qubits entwickelt wurde. Unsere Arbeit zeigt, dass topologische Isolatoren in einem skalierbaren Prozess in solche Schaltkreise integriert werden können.

Hervorzuheben ist außerdem, dass unser Ultrahochvakuum-Prozess nicht nur auf topologische Isolatoren festgelegt ist. Eine Vielzahl von Materialien, die selektiv auf Silizium wachsen, lässt sich mittels dieses Verfahrens in Qubits integrieren. Dies erscheint besonders wichtig vor dem Hintergrund, dass die Eignung der führenden Materialklassen für das topologische Quantencomputing (InAs und InSb) derzeit kritisch diskutiert wird. Der zugrundeliegende Prozess ermöglicht die effiziente Integration vieler anderer topologischer Materialen in Quantenschaltkreise, darunter auch solche, die erst jüngst identifiziert wurden – und könnte damit wichtige Impulse für das Feld des topologischen Quantencomputings liefern.

Ausblick: Was sind die nächsten Schritte?

Als nächstes werden wir versuchen, topologische Eigenschaften in unseren Hybrid-Qubits nachzuweisen und in diesen Bauelementen Hinweise auf Majorana-Nullmoden zu finden.

Nachdem uns die Integration eines einzelnen topologischen Isolator-Nanodrahts in ein Transmon-Qubit geglückt ist, können wir jetzt im nächsten Schritt daran gehen, ein ganzes Netzwerk von Nanodrähten in einem Quantenschaltkreis zu integrieren. Solche Netzwerke werden in zukünftigen Majorana-Qubits benötigt, um Majoranas umeinander herum zu bewegen und somit topologisch geschützte Quantenoperationen durchzuführen. Dass die Herstellung solcher Netzwerke mit dem am Forschungszentrum entwickelten Prozess möglich ist, konnten wir bereits demonstrieren (siehe Pressemitteilung).

Wer war an dieser Arbeit noch beteiligt?

Das Projekt wurde in einer breiten internationalen Kooperation zwischen Universitäten und Forschungseinrichtungen in den Niederlanden, Dänemark, Großbritannien und Deutschland durchgeführt. Hergestellt wurden die Quanten-Chips hauptsächlich in der Helmholtz Nano Facility (HNF) am Forschungszentrum Jülich. Die Arbeiten fanden im Rahmen des Projekts „MajoranaChips“ statt, das vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) gefördert wird, sowie als Teil des Exzellenzclusters „ML4Q“, des Helmholtz-Projekts “Scalable Solid State Quantum Computing”, des Projekts “Bausteine für das Quantencomputing auf Basis topologischer Materialien mit experimentellen und theoretischen Ansätzen“ des Bayerischen Staatsministerium für Wirtschaft, Landesentwicklung und Energie und des DFG-Projekts SPP1666.

Ansprechpartner:

Tobias Schmitt
Peter Grünberg Institut, Halbleiter-Nanoelektronik (PGI-9)
Tel.: +49 2461 61-85417
E-Mail: t.schmitt@fz-juelich.de

Dr. Peter Schüffelgen
Peter Grünberg Institut, Halbleiter-Nanoelektronik (PGI-9)
Tel.: +49 2461 61-85250
E-Mail: p.schueffelgen@fz-juelich.de

Prof. Dr. Detlev Grützmacher
Leiter des Peter Grünberg Instituts, Halbleiter-Nanoelektronik (PGI-9)
Tel.: +49 2461 61-2340
E-Mail: d.gruetzmacher@fz-juelich.de

Pressekontakt:

Tobias Schlößer
Pressereferent, Unternehmenskommunikation
Tel.: +49 2461 61-4771
E-Mail: t.schloesser@fz-juelich.de

 

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