Grundlegende Gleichung für supraleitende Quantenbits muss korrigiert werden

 

30-köpfiges Forscherteam zeigt in Nature Physics, wie sich Quantenbits mithilfe von neu entdeckten Oberschwingungen genauer beschreiben lassen.

 

Forscher der Universität zu Köln haben in Zusammenarbeit mit Physiker:innen des Forschungszentrums Jülich (FZJ) und des Karlsruher Instituts für Technologie (KIT) herausgefunden, dass sich Josephson-Kontakte – die grundlegenden Bausteine supraleitender Quantencomputer – komplexer verhalten als angenommen. Die einfache Grundschwingung wird – wie bei einem Musikinstrument – von Obertönen überlagert. Entsprechende Korrekturen können um den Faktor 2 bis 7 stabilere Quantenbits ermöglichen. Das 30-köpfige Autorenteam, das sich auf experimentelle Daten aus verschiedenen Labors weltweit stützt, darunter das Topological Matter Laboratory in Köln, die Ecole Normale Supérieure in Paris und IBM Quantum in New York, hat seine Ergebnisse in Nature Physics veröffentlicht.

 

Alles begann im Jahr 2019. Die beiden Erstautoren Dennis Willsch und Dennis Rieger, damals noch Doktoranden in Jülich und Karlsruhe, hatten Schwierigkeiten, ihre Experimente mit dem Standardmodell für Josephson-Kontakte in Übereinstimmung zu bringen. Dieses Modell hatte Brian Josephson 1973 den Nobelpreis für Physik eingebracht. Um der Sache auf den Grund zu gehen, untersuchte das Team um Ioan Pop am KIT weitere Daten der Ecole Normale Supérieure in Paris sowie eines 27-Qubit-Geräts bei IBM Quantum in New York, zusätzlich zu Daten aus bereits veröffentlichten Experimenten. Unabhängig davon beobachteten Forschende der Universität zu Köln ähnliche Abweichungen vom Standardmodell.

“Gianluigi Catelani, der an beiden Projekten beteiligt war, erkannte die Überschneidungen und brachte die beiden Forschungsteams glücklicherweise zusammen”, erinnert sich Dennis Willsch vom Forschungszentrum Jülich. “Das Timing war perfekt”, fügt Chris Dickel von der Universität Köln hinzu, “wir haben damals ganz unterschiedliche Konsequenzen des gleichen Grundproblems erforscht.”

Josephson-Kontakte bestehen aus zwei Supraleitern, die durch eine dünne isolierende Schicht voneinander getrennt sind. Seit Jahrzehnten werden diese Schaltungselemente mit einem einfachen Modell beschrieben, das auf eine simple Sinuskurve hinausläuft (siehe Bild).

 

 

Unten: Durch Anregung supraleitender Schaltkreise (gelb/blau) mit Mikrowellensignalen (roter Wackelpfeil) können die Forscher die grundlegende Gleichung analysieren, die den Josephson-Tunnelübergang des Schaltkreises beschreibt. Rechts: Die Forscher haben deutliche Abweichungen (rote Kurve) vom sinusförmigen Standardmodell (grüne Kurve) beobachtet. Links: Schematische Vergrößerung eines Tunnelübergangs, bestehend aus zwei Supraleitern (gelb/blau) mit einer dünnen isolierenden Barriere dazwischen. Die großen Leitungskanäle (rote Schleifen) können für die beobachteten Abweichungen vom Standardmodell verantwortlich sein.

 

Dieses “Standardmodell” beschreibt die Josephson-Kontakte, die zum Bau von Quantenbits verwendet werden, allerdings nicht vollständig, wie die Forschenden nun gezeigt haben. Stattdessen ist ein erweitertes Modell mit höheren Harmonischen erforderlich, um den Tunnelstrom zwischen den beiden Supraleitern korrekt abzubilden. Das Prinzip ist auch aus der Musik bekannt: Wenn man die Saite eines Instruments anschlägt, entsteht eine Grundschwingung, die von mehreren solchen Obertönen überlagert wird.

“Es ist schon faszinierend, dass in unserem Forschungsfeld mittlerweile so präzise Messungen möglich sind, dass sich damit diese kleinen Korrekturen auflösen lassen. Das vereinfachte, bisherige Modell wurde mehr als 15 Jahre lang als ausreichend angesehen”, bemerkt Dennis Rieger.

Als die vier koordinierenden Professoren – Ioan Pop vom KIT und Gianluigi Catelani, Kristel Michielsen und David DiVincenzo vom Forschungszentrum Jülich – die Bedeutung der Ergebnisse erkannten, brachten sie eine große Gruppe von Experimentalphysikern, Theoretikern und Materialwissenschaftlern zusammen, um gemeinsam überzeugende Argumente für das erweiterte Modell zu sammeln.

In der Veröffentlichung in Nature Physics beschreiben die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler den Ursprung und Auswirkungen der Josephson-Oberschwingungen.

“Als unmittelbare Konsequenz glauben wir, dass die Josephson-Oberschwingungen helfen werden, die Fehler von Quantenbits um bis zu eine Größenordnung zu verringern, was uns dem Traum eines universellen, supraleitenden Quantencomputers einen Schritt näherbringt”, resümieren die beiden Erstautoren der Arbeit.

 

Publikation:
Observation of Josephson harmonics in tunnel junctions,
Dennis Willsch, Dennis Rieger, Patrick Winkel, Madita Willsch, Christian Dickel, Jonas Krause, Yoichi Ando, Raphaël Lescanne, Zaki Leghtas, Nicholas T. Bronn, Pratiti Deb, Olivia Lanes, Zlatko K. Minev, Benedikt Dennig, Simon Geisert, Simon Günzler, Sören Ihssen, Patrick Paluch, Thomas Reisinger, Roudy Hanna, Jin Hee Bae, Peter Schüffelgen, Detlev Grützmacher, Luiza Buimaga-Iarinca, Cristian Morari, Wolfgang Wernsdorfer, David P. DiVincenzo, Kristel Michielsen, Gianluigi Catelani, Ioan M. Pop (first published on arxiv as https://doi.org/10.48550/arXiv.2302.09192)

Das Timing war perfekt, denn zu dieser Zeit untersuchten wir ganz unterschiedliche Konsequenzen desselben grundlegenden Problems (über die Abweichung der Daten seiner Gruppe vom Standardmodell).
Chris Dickel

Postdoktorand am Topological Matter Laboratory in Köln und assoziiertes Mitglied des Exzellenzcluster ML4Q, Universität zu Köln

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