Das Bild (Quelle: Freepik) zeigt gezeichnete Frauen ohne ausgefüllte Gesichter. Sie haben verschiedene Haut- und Haarfarben, eine Figur trägt einen Hijab.

 

Internationaler Frauentag 2023 – #EmbraceEquity

Sei es die Covid-19-Pandemie, die erheblichen Einfluss auf die Lebens- und Arbeitsbedingungen insbesondere von Frauen genommen hat, Regierungen und Machthaber, die die Grundrechte von Mädchen und Frauen immer mehr einschränken oder der Gender Pay Gap: trotz allen Fortschritts, der seit dem 1. Internationalen Frauentag 1911 erreicht wurde, leben wir immer noch in einer Welt, die von patriarchalischen Strukturen geprägt ist und in der Gender-Stereotype maßgeblichen Anteil daran haben kann, wie der Lebensweg verläuft und welchen Herausforderungen man sich konfrontiert sieht.
Besonders als Frau in MINT ist man sich jeden Tag aufs Neue den strukturellen Ungleichheiten bewusst, die eine Karriere in der Wissenschaft mit sich bringt.

Nutzen wir den Tag, um zu reflektieren, was wir bereits – allgemein und MINT-bezogen – erreicht haben, aber auch, um uns bewusstzumachen, welche Schritte noch gegangen werden müssen, um eine gleichberechtigte, diverse und inklusive Welt zu kreieren, in der weder Gender noch andere Diversitätsdimensionen einen Einfluss nehmen.

 

Eine kurze Reise durch die Zeit – 112 Jahre Internationaler Frauentag

Seinen Ursprung hat der Internationale Frauentag in der Arbeiterinnenbewegung im 19. und 20. Jahrhundert. Aufgrund massiver struktureller Veränderungen im Zuge der fortschreitenden Industrialisierung schlossen sich Arbeiterinnen in Vereinen zusammen, um für Gleichberechtigung (Wahlrecht), höhere Löhne und bessere Arbeitsbedingungen zu kämpfen. Am 20. Februar 1909 wurde in den USA ein nationaler Frauentag begangen und auf der Zweiten Internationalen Sozialistischen Frauenkonferenz am 27. August 1910 in Kopenhagen schlug die deutsche Sozialistin Clara Zetkin vor, einen internationalen Frauentag einzuführen. Am 19. März fand der erste Internationale Frauentag in Dänemark, Deutschland, Österreich, der Schweiz und den USA statt. Im darauffolgenden Jahr wurde der Internationale Frauentag zudem in Frankreich, Schweden und den Niederlanden begangen, 1913 auch in Russland.
Die Festlegung auf den 08. März fand erst im Jahr 1921 statt; möglicherweise wurde dieses Datum zu Ehren des Streikes armer Bewohnerinnen am 08. März 1917 in Petrograd gewählt, die durch ihre Aktion die Februarrevolution mit auslösten.
Nach der Erlangung des Wahlrechts im Jahr 1918 in Deutschland waren wichtige Themen legale Schwangerschaftsabbrüche, Schwangeren- sowie Mutterschutz, gleicher Lohn bei gleicher Arbeit, Senkung der Lebensmittelpreise und Schulspeisungen. Im faschistischen Deutschland des NS-Regimes wurden 1933 alle Vereine und Presseorgane gleichgeschaltet und der Internationale Frauentag konnte nicht mehr durchgeführt werden. Stattdessen führte das Regime den Muttertag als offiziellen Feiertag ein, um vordergründig die Rolle der Frau in der nationalsozialistischen Weltanschauung zu feiern, letztlich aber darauf abzuzielen, dass Frauen Kinder gebären und zum Wohle des deutschen Volkes tadellose Ehefrauen sein sollten. Im Privaten und Geheimen fanden dennoch weiterhin Zusammenkünfte am 08. März statt.
Im geteilten Nachkriegsdeutschland wurde der Tag unterschiedlich begangen: während er in der sowjetischen Besatzungszone bereits 1946 wieder eingeführt und in der DDR den Charakter eines offiziellen sozialistischen Feiertages hatte, war die Situation in der BRD eine weniger offizielle; erst in den 1960er Jahren rückte der Internationale Frauentag durch die autonome Frauenbewegung wieder vermehrt ins Bewusstsein.
Im Jahr 1975, dem Internationalen Jahr der Frau, organisierten die Vereinten Nationen erstmals am 08. März eine Feier. Im Jahr 1977 verabschiedete die UN-Generalversammlung eine Resolution, in der alle Staaten gebeten wurden, einen Tag als „Tag der Vereinten Nationen für die Rechte der Frau und den Weltfrieden“ zu erklären. Seitdem gibt es jährliche Veranstaltungen der UN am 08. März.
Das Motto des diesjährigen Internationalen Frauentages lautet #EmbraceEquity.

 

Keine fun facts – wie es sich anfühlen kann, eine Frau in unserer patriarchalischen Gesellschaft zu sein

Wir alle erinnern uns sicherlich noch an den emotional sehr aufgeladenen Wahlkampf zur Präsidentschaftswahl in den USA in 2016. Hillary Clinton sah sich mit Korruptionsvorwürfen, ihrer Nähe zu Wall Street und gelöschten E-Mails konfrontiert und…sie wurde als zu ehrgeizig wahrgenommen. Zu ehrgeizig für das höchste Amt des Landes, das erscheint zumindest etwas paradox. Zumal man auch einem mehrmals gescheiteren Geschäftsmann und TV-Promi nachsagen könnte, dass seine Ambitionen auf das Präsidentschaftsamt sehr ehrgeizig seien. Hillary Clinton wurde ihr als unangemessen erscheinender Ehrgeiz sehr übelgenommen und war immer wieder Thema ihrer Konkurrent*innen und Gegner*innen; dies kann nicht losgelöst von ihrem Gender gesehen werden. Denn mit ihrer Kandidatur für das Präsidentenamt hat sie sich auf ein Gebiet begeben, dass in den Köpfen der Menschen größtenteils mit Männern assoziiert ist. Mächtige Frauen werden als Normverletzung wahrgenommen: Macht und Erfolg sind immer noch männlich konnotiert. Frauen mit Verantwortung und Durchsetzungsvermögen werden als herrisch wahrgenommen; um als kompetent zu gelten, müssen sie darauf verzichten, als warmherzig empfunden zu werden. Erfolgreichen Frauen wird oft unterstellt, dass sie kalt seien und  sie werden weniger gemocht, und das sind nicht die einzigen Herausforderungen, denen sie sich stellen müssen.
Um bei Politikerinnen  zu bleiben: während des Vorwahlkampfes erhielt Hillary Clinton fast doppelt so viele beleidigende Twitter-Nachrichten wie Bernie Sanders. Das am häufigsten mit ihr in Verbindung gebrachte Wort war „Bitch“. Als Neuseelands damalige Regierungschefin Jacinda Ardern während ihrer Amtszeit schwanger wurde, sah sie sich während eines Interviews im australischen TV reihenweise mit fortwährendem Sexismus konfrontiert: so kommentierte der Host höchst unangemessen ihr Aussehen und fragte nach dem Zeugungstermin des ungeborenen Kindes. Diese zwei Begebenheiten sind keine Einzelbeispiele und verdeutlichen, wie der Alltag von Frauen im Patriarchat aussehen kann.

 

Wusstet Ihr…

… dass die meisten medizinischen Lehrbücher immer noch keine geschlechtsspezifischen Informationen zu Themen enthalten, bei denen längst bewiesen ist, dass es Unterschiede gibt, wie z. B. bei Depressionen oder den Auswirkungen von Alkohol auf den Körper?

 

… dass Studien der Pharmaindustrie nicht zwangsläufig an weiblichen Probanden durchgeführt werden, sondern die Ergebnisse als allgemein gültig für alle Geschlechter angesehen werden? Es ist kein gerade erst gelüftetes Geheimnis, dass es geschlechtsspezifische Unterschiede in der Funktionsweise von Organen gibt. 

… dass der Crashtest von Autos, der zu einem möglichst sicheren Fahrgefühl beitragen soll, mit Dummys durchgeführt wird, die dem männlichen Standardkörper nachempfunden sind und somit als repräsentativ für die erwachsene Bevölkerung im Allgemeinen gelten? Und die “weiblichen Dummys”, die es manchmal gibt, sind lediglich kleinere Varianten der männlichen und berücksichtigen in keiner Weise die weibliche Physiognomie; zu allem Überfluss werden sie nur auf dem Beifahrersitz getestet.

 

Frauen in MINT – Zahlen, Daten, Fakten

Es ist keine neue Erkenntnis: Frauen sind in MINT nach wie vor unterrepräsentiert. Weiterhin  tradierte Genderstereotype tragen dazu bei, dass sich bereits in jungen Jahren die Meinung bei Mädchen verfestigen kann, dass sie kein Talent für MINT-Fächer haben oder auch aktiv keine Förderung ihrer Interessen erfahren. Angebote wie der Girl´s Day setzen Impulse und helfen, MINT-Berufe bei Mädchen ins Bewusstsein zu rufen und ihnen niedrigschwellig nicht „mädchentypische“ Berufe näherzubringen. Seit 2012 liegt ein verstärkter Fokus auf Gender Mainstreaming in der Forschung innerhalb des Europäischen Forschungsraumes und Diversity & Inclusion hat nun auch Einzug in Drittmittelanträge gefunden. Dennoch wissen wir aus eigener Erfahrung, dass männlich gelesene Personen (noch) das Bild in den Naturwissenschaften dominieren – sei es bei einem Blick durch die Reihen des Hörsaals entlang der Kommiliton*innen oder bei dem Blick vorne ans Pult. Weitere Faktoren wie Ungleichbehandlung von Männern und Frauen während der Promotionsphase in verschiedenen Studienfächern, genderspezifische Unterschiede bei den Arbeitsbedingungen von Forschenden und genderspezifische Ungleichheiten bei Karriereentwicklungen und Entscheidungsfindungen tragen dazu bei, sich gegen ein MINT-Studium oder den Verbleib in academia zu entscheiden.
In 2018 waren in Deutschland lediglich 29,4% aller Physik-Studierenden weiblich. Erfreulicherweise steigt die Zahl kontinuierlich (2000 lag sie beispielsweise bei 17,1%), dennoch sind wir von einer ausgeglichenen Verhältnis noch weit entfernt. Wenn wir uns fächerübergreifend auf die Kategorie Gender fokussieren, sehen wir, dass in 2018 48,9% aller Studierenden weiblich waren. Bei den Promotionen sieht es fächerübergreifend ähnlich aus: 45,2% aller abgeschlossenen Promotionen im Jahr 2018 waren von Frauen. Im Fachbereich Physik/Astronomie wurden im gleichen Jahr allerdings nur 20,1% der Promotionen von Frauen abgeschlossen.
Bezogen auf Promovierende unserer ML4Q-Standorte lässt sich für das Jahr 2021 folgendes Bild zeichnen:

 

Der Gender Bias setzt sich auch im weiteren Verlauf der Karriere, nicht nur in MINT, fort. Seien es Publikationen, Drittmittel oder die Beförderung in eine höhere Position: Frauen sehen sich in allen Bereichen der Wissenschaft mit strukturellen Barrieren und Ungleichheiten konfrontiert. Diese Faktoren tragen zur sogenannten Leaky Pipeline bei: Mit diesem Begriff wird der absinkende Frauenanteil mit den verschiedenen Qualifizierungsebenen und Karrierestufen bezeichnet.

 

Das Diagramm zeigt den prozentualen Anteil von Frauen und Männern im Laufe einer akademischen Laufbahn. Die Frauenquoten sind in rosa, die Männerquoten in blau dargestellt. Es zeigt sich, dass bis einschließlich der Abschlussprüfungen ein ausgewogenes Verhältnis von weiblichen und männlichen Studierenden besteht. Ab der Promotion vergrößert sich die Kluft und auf der Karrierestufe der W3-Professuren ist der Unterschied am größten. Die Daten beziehen sich auf 2020.

 

Im Jahr 2021 war nur jede vierte hauptberufliche Professur in Deutschland mit einer Frau besetzt (27%). Mit Blick auf den MINT-Bereich sinkt der Frauenanteil auf 21,5%.

Für unsere ML4Q-Standorte gilt in 2021:

Gender Mainstreaming-Maßnahmen, Gleichstellungspläne und gezielte Förderungen in MINT sollen dazu beitragen, mehr Frauen in academia zu halten.

 

* Aufgrund von Excel-Übertragungsfehlern wurden die Tabellen im Februar 2024 überarbeitet. Bei weiteren Fragen diesbezüglich wenden Sie sich gerne jederzeit an Eva Kanis

 

EDI @ ML4Q

ML4Q bietet verschiedene Unterstützungsmaßnahmen im Bereich Equity, Diversity & Inclusion (EDI). Mit der Unterstützung bei der Kinderbetreuung, einem eigenen Eltern-Kind-Raum, der Hilfe bei der Inanspruchnahme der Elternzeit sowie bei der Pflege von Angehörigen soll unseren Forschenden die Möglichkeit gegeben werden, sich trotz familiärer Verpflichtungen bestmöglich auf ihre akademischen Ziele fokussieren zu können. An allen Standorten eingesetzte Diversity-Stewards fungieren als erste niedrigschwellige Ansprechperson bei jeglichen Diskriminierungen vor Ort und bilden eine Schnittstelle mit dem ML4Q-Office.
Seit dem 15. Februar 2023 ist mit Dr. Eva Kanis eine neue Equal Opportunities & Diversity Managerin im Cluster zuständig.
Anfragen oder Anregungen jeglicher Art können gerne jederzeit an ml4q-edi@uni-koeln.de adressiert werden. Im Laufe der nächsten Monate sollen weitere Maßnahmen entwickelt und implementiert werden, über die dann u.a. in einer eigenen Sektion auf der Website berichtet werden wird.

 

 

Empfehlungen

Unsichtbare Frauen – Wie eine von Daten beherrschte Welt die Hälfte der Bevölkerung ignoriert von Caroline Criado Perez. Ein Buch, das einem wirklich die Augen öffnet und den Gender Bias, dem man als Frau täglich ausgesetzt ist, anhand zahlreicher Beispiele benennt.

 

Why Women Are Blamed for Everything – Exploring Victim Blaming of Women Subjected to Violence and Trauma von Dr. Jessica Taylor. Dieses Buch deckt die machtvollen gesellschaftlichen und individuellen psychologischen Kräfte auf, die uns dazu veranlassen, Frauen, die männlicher Gewalt ausgesetzt sind, die Schuld zu geben.

 

Talk Nerdy mit Cara Santa Maria. Sicherlich kein Geheimtipp mehr: Wissenschaftskommunikatorin Cara trifft interessante Menschen, um interessante Themen zu diskutieren. Viele ihrer Gäste sind weiblich und berichten von spannenden Geschichten aus ihrer Forschung und ihrem Berufsalltag. Besondere EDI-Empfehlung: Folge vom 9. Mai 2022 über unconscious bias.

 

Quellen

Die Fakten über die Geschichte des Internationalen Frauentags wurden entnommen aus:

Die Zahlen für die einzelnen Hochschulen wurden freundlicherweise von den jeweiligen Promotionsbüros, Personalabteilungen, Verantwortlichen und Reports auf den Websiten der Universitäten zur Verfügung gestellt. Die nicht ML4Q-spezifischen Zahlen stammen aus dem MINT-Datentool, dem She Figures Report 2021 und dem Statistischen Bundesamt.
Unter keine fun facts und Wusstet ihr wurde aus Unsichtbare Frauen von Caroline Criado Perez zitiert.
Für weitere Fragen können Sie sich jederzeit an ml4q-edi@uni-koeln.de  wenden.

 

Über Eva

Ursprünglich in Klassischer Archäologie und Geschichte beheimatet, hat sich Eva während ihrer Promotion verstärkt den Themen Equity, Diversity & Inclusion zugewandt und sich u.a. zwei Jahre lang als Promovierendenvertreterin der Philosophischen Fakultät engagiert und versucht, diese Themen stärker in den Fokus zu rücken. Nach einer Zwischenstation als stellvertretende Projektleiterin im Projekt “Entwicklung und Implementierung einer Diversity & Inclusion Strategie für das Forschungszentrum Jülich” ist sie seit dem 15. Februar 2023 als Equal Opportunities & Diversity Managerin in ML4Q tätig.